Verabredung zum Frieden
von sueddeutsche.de
Südkoreas Präsident Roh Moo Hyun wünscht sich ein einen gemeinsamen Markt in Ostasien - dessen Motor sollen die zwei Koreas werden. Mit dieser Vision ist Roh Vorreiter in Ostasien - und zwar ein einsamer.
- Ein Kommentar von Christpoph Neidhart -
Korea sei wie ein Sandwich, eingeklemmt zwischen China und Japan, sagte Südkoreas Präsident Roh Moo Hyun. Das war am Ende der Verhandlungen mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Il. Die beiden Teile der Halbinsel müssten sich zusammentun, um der Konkurrenz der zwei großen Nachbarn standzuhalten, so warb Roh für den Frieden. Für das 21. Jahrhundert schwebt dem Südkoreaner ein gemeinsamer Markt in Ostasien vor. Dessen Motor sollen die zwei Koreas werden - China und Japan könnten dann später dazustoßen.
Rohs Vision scheint gewagt zu sein. Immerhin rang der Südkoreaner mit dem Mann aus dem Norden um nichts Geringeres als um das Ende des Kalten Krieges auf der Halbinsel. In der ersten Runde des Gipfels musste Roh erkennen, dass der Kontakt zu seinem Gegenüber extrem schwierig war. In der zweiten Runde aber hätten sie dann eine gemeinsame Sprache gefunden, sagte Roh.
Mit der Abschlusserklärung schließlich verpflichten sich die zwei Koreas, einen Friedensprozess einzuleiten. Und damit rückt Rohs kühne Vision einen winzigen Schritt näher. Zumindest scheint es weniger vermessen zu sein, von einer Wirtschaftsgemeinschaft zu reden, wenn die verfeindeten Brüder sich nicht mehr bedrohen. Denn bis heute trennt nur der vor 54 Jahren abgeschlossene Waffenstillstand die beiden Staaten vom Krieg.
Dieser zweite Gipfel, auf den die Koreaner sieben Jahre warten mussten, war geprägt von schroffen Stimmungswechseln. Beim Abschreiten der Ehrengarde, wozu Kim Jong Il erschienen war, obwohl man ihn nicht erwartet hatte, sprachen die zwei Staatschefs kein Wort miteinander. Nach den Trinksprüchen am ersten Abend fürchtete man plötzlich, es sei ein Fauxpas Rohs gewesen, auf die Gesundheit Kim Jong Ils anzustoßen, der schließlich offiziell als kerngesund gilt. Am nächsten Morgen tauchte Kim dann eine halbe Stunde zu früh im Gästehaus Baekwhawon auf. Und zu Beginn der zweiten Runde überrumpelte er den Südkoreaner mit dem Vorschlag, den Besuch um einen Tag zu verlängern.
Die Grammatik der Diplomatie ist den Nordkoreanern fremd. Oder egal. Das isolierte, verarmte Land hat nicht nur wirtschaftlich und technologisch, sondern auch sozial viel aufzuholen. Vielleicht war Roh Moo Hyun, einst Menschenrechtsanwalt zur Zeit der Diktatur in Südkorea und selbst ein unkonventioneller Politiker, der richtige, sperrige Partner für den unberechenbaren Kim.
Eine Absichtserklärung zum Frieden ist freilich noch kein Frieden, ferne Visionen sind zuweilen unproduktiv. Mit Rückschlägen muss man rechnen. Ohnehin können die zwei Koreas keinen Frieden ohne die USA und China schließen, die weiteren Parteien im Koreakrieg. Dennoch hat dieser Gipfel ein neues Kapitel eröffnet. Die Zusammenarbeit soll auf vielen Ebenen intensiviert, tragfähige Verbindungen sollen geknüpft werden. Sie könnten einmal die Grundlage für eine koreanische Gemeinschaft werden. Eine plötzliche Vereinigung würde auch zu viele Risiken bergen. Deshalb ist es richtig, dass Roh lieber von Versöhnung und gemeinsamem Wohlstand spricht.
Nordkorea ist bankrott, China alimentiert das stalinistische Land nicht mehr umsonst. Schon deshalb lässt sich Kim Jong Il auf den Ausgleich mit dem Süden ein. Er braucht Reis und Öl. Roh wiederum bleiben nur wenige Monate, um in die Geschichte einzugehen. Die Verfassung erlaubt ihm keine zweite Amtszeit, und ohnehin war er wegen diverser Fehler zuletzt sehr unpopulär geworden. Der Druck, der auf den beiden lastet, hat sie - und vor allem Kim - gezwungen, über ihre Schatten zu springen.
Mit seiner Vision eines gemeinsamen Marktes in Ostasien ist der Südkoreaner ein Vorreiter. Die meisten Politiker der Region halten eine Wirtschaftsunion für undenkbar. Doch Roh hat recht. Weil die gesamte Region - nicht nur die beiden Koreas, sondern auch Japan und China - noch immer in ihrer tragischen Geschichte des 20. Jahrhunderts feststeckt, bietet die Wirtschaft derzeit die einzige Möglichkeit, an einer ostasiatischen Nachbarschaft zu bauen.
Die Europäische Union war von Anfang an auch eine politische Vision; die Wirtschaft ein Vehikel für den Frieden. In Asien hinkt die Politik der Wirtschaft immer hinterher. Zuweilen gibt es gar keine Außenpolitik, Japan hat über Jahrzehnte hinweg nur Außenwirtschaftspolitik betrieben. Schon deshalb setzt Präsident Roh auf die Wirtschaft; Nordkorea soll Südkoreas neues China werden, ein billiger Produktionsstandort, der sich rasch entwickelt - wie das Südkorea vor 40 Jahren für die USA und Japan war. Selbst der Streit um die gemeinsame Grenze in der Westsee würde schließlich wirtschaftlich gelöst. Die Zone soll in eine Friedens- und Fischereizone umgewandelt werden.
Von allen Regierenden Ostasiens ist Roh als einziger im 21. Jahrhundert angekommen. Dort ist er bisher ziemlich allein. Er gilt als Träumer, auch in seinem eigenen Land. Doch mit den zahlreichen kleinen Schritten, die die Abschlusserklärung vorsieht, dürfte sich ganz Korea wenigstens ein bisschen in der Richtung Rohs bewegen. Ostasien könnte mehr solche Träumer gebrauchen.